Meine Wohnung befindet sich in einem sehr schönen so genannten Wohnpark. Rot geklinkerte Häuser und ringsum ohne Ende Grün. Bäume, Büsche, Wiesen … Sehr viele Singvögel und andere frei laufende Tiere. Am Anfang der Straße ist ein Friedhof, den man passieren muss, um in den Wohnpark zu gelangen. Da dieser Friedhof zu den Straßenseiten in hohe Mauern „gehüllt“ ist, die von großen Sträuchern umrahmt sind, ist er vor allzu vielen Blicken oder sonstigen Störungen geschützt.
Nur die Häuser am Anfang des Wohnparks … nein, dort würde ich nie einziehen: Im Winter sieht man auf den Friedhof, weil die Bäume und Büsche blattlos sind, und im Sommer … riecht man ihn … Auch aus den Kanaldeckeln, die sich auf dem Fußweg, rund um den Friedhof befinden. Meine diesbezügliche Anfrage bei der Hausverwaltung wurde mit „das geht gar nicht“ abgetan. Meine gleich lautende Anfrage bei der Stadt Hannover ergab ebenfalls ein schlichtes “das geht gar nicht“. Bitten, sich vor Ort davon zu überzeugen wurden ignoriert. Und so müffelt irgendwas bei warmem Wetter, durch die Kanaldeckel ziehend, vor sich hin. Was auch immer es ist … und wohlmöglich letztendlich ins Trinkwasser gerät.
Ansich ist diese Anlage jedoch sehr gepflegt und sauber.
Nun sitze ich hier und überlege, wie ich das, was ich eigentlich schreiben will, formulieren soll. Es ist schwierig, wenn man das Wort „Pietät“ nicht nur aus dem Duden kennt …
Als ich eines Morgens an der Hauptseite des Friedhofs vorbei zur Bahn ging, stand dort ein großer Container vor dem Eingang. Hm … Kommt vor. Also machte ich mir keine weiteren Gedanken. Als ich abends wieder am Friedhof vorbei kam, war dieser Container voll gepackt mit Grabsteinen … Ein Anblick des Grauens … irgendwie. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Erst überlegte ich, das zu fotografieren. Es sah Furcht erregend und einzigartig aus. Und an einen Abtransport an jenem Abend war wohl aufgrund der fortgeschrittenen Uhrzeit nicht zu denken. Also würden die Grabsteine, so lieblos aufeinander geschmissen, wohl über Nacht dort stehen bleiben.
Namen … Es waren die Namen von Verstorbenen zu lesen. Einfach so. Hier auf der Straße. In einem Container liegend. Unter-, über- und nebeneinander in irgendeinen städtischen Container geklatscht.
Achtlos.
Sehr pietätlos. … wie ich finde.
Dass die Toten auferstanden sind, ist wohl nicht anzunehmen. Also gehe ich davon aus, dass es sich um Gräber handelte, die eingeebnet wurden. Weil die Angehörigen nicht mehr bezahlen können? Weil Platz gebraucht wird und man eben nur eine bestimmte Zeit tot sein darf, bis man gänzlich ausgelöscht wird? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass mich dieser Anblick sehr erschreckt hat. Und er hat mich traurig gemacht.
Da sind Grabstellen vernichtet worden, die vermutlich über Jahre von liebenden und vermissenden Menschen besucht wurden. Nun ist auch dieser letzte Anlaufpunkt zu einem geliebten Menschen weg. Abgeräumt. In einem Container entsorgt. Ich für mich habe längst beschlossen, nicht beerdigt werden zu wollen. Vielleicht auch aus eben diesem Grunde. In erster Linie jedoch, weil ich mir sage, dass niemand sich verpflichtet fühlen soll, Stiefmütterchen oder Koniferen auf mich zu pflanzen und sie regelmäßig gießen und pflegen zu müssen … Wer mich zu Lebzeiten nicht in sein Herz geschlossen hat und somit eh bei sich trägt, egal wo ich bin, braucht sich nach meinem Tod nicht an mein Grab zu stellen und zu trauern.
Nein, ich habe für mich längst zwei Alternativen, die ich viel schöner finde, als irgendwo verbuddelt zu werden. Begraben für sehr viel Geld. Insbesondere dann sehr viel Geld, wenn man selbst kaum noch weiß, wovon man leben soll. Aber was ist mit den Menschen, die sich für die Beerdigung auf einem Friedhof entschieden haben. Sich zur letzten Ruhe im Erdreich haben betten lassen um auf diese Weise ihren Angehörigen so was wie „erhalten“ zu bleiben? Nach wahrscheinlich gesetzmäßig festgelegtem Enddatum werden sie abtransportiert und die nächsten Verstorbenen darüber gelegt?
Ich finde diese ganzen Gedanken mehr als grausam. Und ich hoffe für mich, dass ich nie im Leben erneut einen solchen Container mit Grabsteinen sehen muss. Viel bedrückendere Situationen habe ich kaum mal erlebt. Dieser Anblick lässt mich einfach nicht mehr los.
© skriptum
[urspr. 07/04]
Da sind wir ja schon wieder beim Thema, liebe Skriptum :-)
Also das mit dem Container ist schon mehr als schräg. Und Du hast ganz recht: Es wirkt achtlos.
Nun ist es ja so, dass es auf Friedhöfen eine sogenannte Mindestliegezeit gibt. Das ist die Zeit, nach der ein Leichnam offiziell als vergangen gilt. Knochen findest Du aber nach Hunderten Jahren auch noch dort, das ist nichts Ungewöhnliches. Diese Ruhezeit ist von Gemeinde zu Gemeine verschieden und hängt u.a. von der Bodenbeschaffenheit ab. In der Regel liegt sie zwischen 15 und 25 Jahren. Und wie Du vermutest ist das gesetzlich geregelt, nämlich vom Friedhofsgesetz der Städte (dessen Rahmen das bundesweite Friedhofsgesetzbildet).
Wenn nun jemand stirbt, so haben derjenigebzw. die Angehörigen zwei Alternativen (egal, ob für eine Urne oder einen Sarg): Wahlgrab oder Reihengrab.
Nimmst Du ein Reihengrab, so wirst Du „in einer Reihe“ am nächsten freien Platz bestattet. Ein zweiter Verstorbener darf nicht in dieses Grab dazu. Denn es besteht nur während der Mindestliegedauer. Für diesen Zeitraum wird es auch bezahlt. Danach wird es von den Angehörigen oder der Stadt abgeräumt. Meist wartet die Gemeinde, bis das gesamte Feld voll ist und auch beim letzen Grab die Liegedauer beendet. Dann gestaltet sie das komplette Feld neu mit frischen freien Grabstellen.
Bein Wahlgrab hast Du viele Möglichkeiten: Nach Ablauf der Liegezeit kann man es immer um einen festen Zeitraum verlängern, muss dann natürlich auch weiter zahlen. Du kannst auch später einen oder mehrere Verstorbene nachbestatten. Dann musst Du aber von vorne herein sagen, dass das ein Doppel- oder sogar Familiengrab mit bis zu 8 Stellen wird. Es ist dann entweder breiter oder der erste Tote wird gleich tiefer gelegt (sorry, heißt so, ich find’s ach schlimm), damit der nächste obendrauf kann. Ein Wahlgrab kann erst aufgelöst werden, wenn der zuletzt Begrabene die Ruhezeit beendet hat.
Der Container scheint mir von einem komplett abgeräumten Reihen-Grabfeld zu stammen. Die Frage ist eben: Wenn die Stadt so ein Feld auflöst und die Steine wegmüssen, was könnte man damit machen? Woanders aufstellen? Meist sind auch gar keine Angehörigen mehr da – und wenn, dann wollten sie das Grab von vorneherein sowieso nur für die feste Liegezeit. Von „vernichten“ einer Grabstelle würde ich daher nicht sprechen. Denn das würde voraussetzen, dass das gegen den Willen von jemandem geschieht.
Ach, Sterben und Bestattung sind ein ungemein komplexes Thema. Und mit einer ungeheuren Bürokratie verbunden. Was aber auch nicht ginge wäre, dass jeder mit seinen Verstorbenen machen könnte, was er will – um es mal krass zu sagen.
Ich habe ja neulich über diese Gruselurnen in Kopfform gebloggt, hast ja gelesen. Und ich denke, ein guter Weg wäre, statt solches Zeug zu schaffen, sich eimal die grundlegenden Formen neu zu überlegen. Und vor allem die Aschezerstreuung zuzulassen. Ich kennen so unglaublich viele Menschen, die das wollen und nicht dürfen. Es wäre toll, und es würde verhindern, dass man es dann eben illegal macht. Was ja kein Problem ist. Manchmal sind Behörden einfach nur doof ;)
Puh, langer Kommentar. Spannendes Thema. Schön, dass Du Dich damit auseinandersetzt.
Liebe Grüße und ich schicke Dir ein paar schöne Bilder und gute Gedanken für Dein inneres Auge.
Ach, es klingt grausig, aber so ist es wohl nun mal. In unserer Wegwerfgesellschaft ist nicht einmal den Verstorbenen die sogenannte Ewige Ruhe vergönnt. Nach den jetzigen gesetzlichen Regelungen ist eine solche aber leider, leider auch gar nicht möglich. Wäre dem so, wäre vermutlich halb Deutschland ein riesengroßer Friedhof, viele Gräber auf diesem würden brach liegen und niemals besucht werden. Das sogenannte letzte Hemd hat zwar keine Taschen, aber von den Angehörigen und Nachkommen wird sehr gerne noch sehr viel abkassiert. Und wenn da die Geldquellen versiegt sind, werden die Überreste eben entsorgt. Um Platz zu schaffen für frisch Verstorbene, Abzuzockende…
Bei der Vorstellung, die ich vom Jenseits habe, bin ich allerdings fest davon überzeugt, daß von all den vielen, vielen lieben Menschen, die über die Regenbogenbrücke gegangen sind, sich niemand sonderlich für die Gepflogenheiten der Friedhofskultur hierzulande interessiert. ;-)
Liebe Grüße! Auch ich schicke dir ein paar Impressionen der Schönheit und gute Gedanken.
Solch ein Anblick ist natürlich nicht schön. Doch bei aller Pietät sollte man auch bedenken, Platz für Tote gibt es nicht uneingeschränkt. In der Regel hat man die Möglichkeit, Gräber für X Jahre zu kaufen. Wird danach nicht verlängert, werden sie eingeebnet.
Wichtig ist doch, dass wir den, die Menschen in Erinnerung behalten, die wir zu Grabe getragen haben. Erinnerungen und die Seele sind unsterblich.
So oft habe ich schon verwahrloste Gräber gesehen, wo der Begriff “ eine Schande“ schon nicht mehr ausreicht. Ein Friedhofsbesuch ist eh schon traurig, da sollte man solche Gräber lieber zuerst einebnen, damit die „Melancholie“ nicht noch mehr zuschlägt.
Ladyschaft hat es sehr gut beschrieben, nur möchte ich noch anmerken, daß es keine städtischen Bestattungsgesetze und kein bundeseinheitliches Bestattungsgesetz gibt.
Es gibt Landesbestattungsgesetze für jedes Bundesland und der Rest wird vom jeweiligen Friedhofsbetreiber im Rahmen seiner Friedhofssatzung oder Friedhofsordnung geregelt.
Durchaus gibt es auch Reihengräber in denen mehrere Personen beigesetzt werden können. Das ist z.B. dann möglich wenn die Mindestruhezeit laut Friedhofssatzung kürzer ist als die Grablaufzeit und innerhalb des Zeitunterschiedes eine zweite Person bestattet wird (zumeist dann mit Urne). Nehmen wir an, die Mindestruhezeit beträgt 15 Jahre und die Grablaufzeit 18 Jahre, dann kann man innerhalb der ersten 3 Jahre, falls das auf diesem Friedhof gestattet ist, noch eine Urne oder gar einen Sarg beibestatten.
Wichtig ist, daß das Grab nicht verlängert werden kann und die zweite Leiche auch ihre 15 Jahre Mindestruhezeit bekommt.
Nun ist aber nicht Achtlosigkeit oder Pietätlosigkeit der Grund für die Grabaufhebungen. Es ist allein der wirtschaftliche Aspekt. Jeder könnte sich auch ein Grab mit längerer Laufzeit kaufen und dieses über Generationen hinweg immer wieder verlängern lassen.
Viele können sich das nicht leisten, viele wollen das aber auch gar nicht. Oft leben die Angehörigen weit weg und sind froh, wenn nach 20 oder 30 Jahren (denn auch solche Mindestruhezeiten kann es geben) endlich das Grab weg ist. Sie geben ihrer Trauer anders Raum, als durch den Besuch und die kostenintensive Pflege eines Grabes.
Auch werden Gräber nicht einfach so „Knall auf Fall“ weggemacht, sondern zumeist werden sie lange vorher aufgeboten und es besteht in vielen Fällen die Möglichkeit, das Grab an eine andere Stelle verlegen zu lassen und in Form eines Wahlgrabes weiterzuführen.
Abgesehen davon finde ich persönlich Gräber für die Ewigkeit, wie man sie etwa von jüdischen Friedhöfen oder aus den Vereinigten Staaten kennt, sehr schön und würde ein solches bevorzugen.
@ Tom:
Ja klar, es gibt keine städtischen Bestattungsgesetzte, sondern die Friedhofssatzungen der Gemeinden. Habe ich etwas unglücklich ausgedrückt vielleicht. Den Rahmen dafür bilden die jeweiligen Landesgesetze, kein bundesweites Gesetz. Danke für die Korrektur.
Was die Reihengräber betrifft: Da sind ja in der Regel Grablaufzeit und Mindestliegezeit identisch, oder? Bei uns ist es jedenfalls so. Nachbestattungen kommen nur in Ausnahmen vor, maximal in den beiden ersten Jahren nach „Erstbelegung“. Und klar, die Mindestliegezeit muss auch für den zweiten Verstorbenen gewährleistet sein. Bei Urnen ist da kein Problem, bei Särgen schon – wegen des Platzes. In ein Einzel-Reihengrab passt eben kein zweiter Sarg.
@ freidenkerin:
Da muss ich aber jetzt doch mal eine Lanze brechen für die Friedhofsbetreiber ;-) „Überreste“ werden nicht „ebenso entsorgt, wenn die Geldquelle versiegt ist“. Und auch nicht deswegen, um Platz zu schaffen „für neu Abzuzockende“. Ein Grab wird abgeräumt, wenn die Laufzeit zu Ende ist. Ob das die Mindestlaufzeit des betreffenden Friedhofs ist oder (per Wahlgrab) eine längere, bestimmen die Hinterbliebenen – oder der Verstorbene hatte dies durch Vorsorge geregelt. Wenn jemand wirklich in Geldnot gerät, bleibt das Grab trotzdem. Auf städtische Kosten.
Viele Friedhöfe haben übrigens noch viel Platz. Neuen zu schaffen ist also kein primäres Ziel, also auch nicht, Gräber platt zu machen. Das ist eben wie Tom sagt: ein wirtschaftlicher Aspekt.
Gräber für die Ewigkeit sind sicher eine schöne Sache. Wenn das aber jeder will … Tom, hat da nicht mal jemand gerecht in Deinem Blog, wie viel Fläche der Erde dann mit Gräbern bedeckt wäre? Kam da noch ein realistisches Ergebnis raus?
Seid alle lieb gegrüßt, wie auch immer Ihr vom Tod und dem Danach denkt!
…wie auch immer Ihr vom Tod und dem Danach denkt
Der Tod ist das Ende dieses Kreislaufes und der Beginn eines Neuen. Wer Angst vorm Sterben hat, hat auch Angst vor dem Leben…
Du hättest ein Foto machen sollen. Vielleicht hätte man damit eine weitere Container über Nacht Aktion verhindern können.
Gern auch als Bild Leser Reporter. (Ja ich weiß)
Danke für all Eure Kommentare zu diesem recht holprigen Thema!
Und wieder stimmt mich die „Regenbogenbrücke“ der lieben Freidenkerin sehr milde. Ein Ausdruck, den ich für das Thema selbst als sehr besänftigend empfinde.
Vermutlich gibt es gerade zum Thema Tod in Verbindung mit dem Danach genauso viele Empfindungen, wie potentiell Betroffene. Insofern dürfte es unmöglich sein, einen Weg zu finden, mit dem alle einverstanden sind. Dass sich jedoch so viele Menschen so tiefe Gedanken dazu machen, finde ich sehr beeindruckend. Und beruhigend … irgendwie.
Nachtrag an ColaPernod: Ein Foto habe ich nicht gemacht. Allerdings war es vermutlich besser so. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich das Foto veröffentlicht hätte. Wäre das nicht ebenso pietätlos gewesen, wie ich diesen Container und die damit verbundenen Handlungen empfunden habe?
Namen … es waren alle Namen zu lesen. Ich würde nicht wollen, dass die Nachwelt „mich so sieht“.