Die abgegriffene Zigarettenschachtel ließ erahnen, dass sie längst mit dem Rauchen aufgehört hatte. Eigentlich. Nur ab und zu noch überkam es sie und sie verpasste ihrer Lunge eine Dosis Nikotin, die nicht nur ihre Lunge sprengte, sondern auch sofort bis ins Hirn zu schießen schien.
Verloren folge ihr Blick den Bewegungen der Gardinen, die unaufhaltsam wärmende Sonnenstrahlen in das kleine sterile Zimmer zu wehen versucht zu sein schienen. Vergeblich. Ihr war kalt. Eine innere Kälte, der mit nichts beizukommen war. Träume hatte sie längst keine mehr. Ebenso wenig, wie sie sich noch irgendwelchen Illusionen hingab. Sachlichkeit und Ernüchterung hatten ihren anfänglichen Willen längst austrocknen lassen.
„So ist das Leben. Leben eben“ hatte sie so oft lächelnd und ruhig gesagt, dafür aber nur verständnisloses Kopfschütteln geerntet. Die Karten mischt eine unbestechliche Macht, die nicht selten kleine perverse Spielchen zu treiben scheint. Mag sein, dass alles anders geworden wäre, wenn sie sich diesen Spielregeln gebeugt hätte. Aber sie kannte sie ja nicht einmal; wusste um keines der möglichen Ziele und hatte sich inzwischen in das ihr nach wie vor unbekannte Schicksal ergeben. Fast zumindest. Einen Weg hatte sie noch gefunden, um dem für sie von welcher Macht auch immer Geplanten doch noch ein Schnippchen zu schlagen.
Schicksal? Oder Bestimmung? Worin lag der Unterschied? Gab es überhaupt einen? Sie blies gedankenverloren den letzten Zug ihrer Zigarette dem Kosmos entgegen. Ein Atemzug wie jeder andere und doch mit tieferer Bedeutung. War er doch Teil ihres Todesurteils, das längst besiegelt war. Sie wehrte sich schon lange nicht mehr. Keiner redete noch auf sie ein. Alle hatten sich damit abgefunden, dass sie nun in einer Warteschleife hing. Eine Position, die ihr täglich mehr die Sinne vernebelte. Ihr sollte es recht sein. Waren die verabreichten Medikamente doch Garant dafür, dass sie ihr eigenes Ende hoffentlich nicht bei allzu klarem Bewusstsein mitbekommen würde.
Sie wollte längst nicht mehr, hatte vor langer Zeit angefangen zu beten. Nie hatte sie wirklich an Gott geglaubt. Doch jetzt lagen ihre verbliebenen Hoffnungen in seiner Existenz. Wenn es ihn gab würde er ihr beistehen. Der Allmächtige. Der Allwissende. Hoffentlich würde er. Würde er? Oder fand die Kirche auch hier wieder irgendeine Ausrede für ihn? Den Allmächtigen.
Sie schaute auf die Uhr. Es war Zeit. Ihre Sachen hatte sie längst gepackt. Niemand hatte es mitbekommen. Das meiste ließ sie sowieso zurück. Was sie bei dieser Fahrt brauchte passte in eine kleine Umhängetasche. Der Abschied von ihren Lieben war ihr etwas schwer gefallen. Doch nie zuvor hatte sie sich so sehr darauf gefreut, nach Holland zu fahren …
Interessant, dass auch in diesem Text Gott wieder mit Kirche assoziiert wird. Gute Werbestrategie offensichtlich; wie Taschentuch und Tempo ;-)
Na, immerhin ist es die Kirche, die seinen Namen permanent missbraucht, um ihm irgendwas in die sprichwörtlichen Schuhe zu schieben. Dürfen nur die das? ;o)
Eine nachdenkliche Geschichte. Aber toll geschrieben. Dir ein schönes Wochenende. L.G. Ludger
Dir auch, lieber Ludger, und danke!
Dass mich diese Geschichte sehr nachdenklich macht, das weißt du sicherlich. – Ich würde auch nach Holland fahren, wenn ich das Geld dafür hätte, oder auf eine andere selbstbestimmte Reise gehen – auf jeden Fall bestimmt nicht abwarten, bis vielleicht die Medikamente doch nicht mehr wirken, bis ich nur noch die Hälfte wiege und bis dem letzten Ausatmen kein Einatmen mehr folgt.
Mit ganz lieben Grüßen für dich von mir
Wir beide sehen dieses Thema ja sehr ähnlich, liebe CC.
Einmal war ich an dem Punkt, an dem ich gedacht habe, wenn das der Ist-Zustand bleibt, dann will ich nicht mehr. Entweder finde ich einen Arzt, der Menschlichkeit und Gnade über medizinische Kenntnisse und Paragraphen stellt, oder ich finde einen anderen Weg. Und das, nachdem ich Jahre zuvor bereits einmal hart um mein Überleben gekämpft habe.
Leben sollte immer erträglich sein. Ist es das nicht, sollte es eine Möglichkeit geben, sich selbständig zu entscheiden, ob und wenn ja wie es weitergeht.
Deine Geschichte macht mich sehr nachdenklich. Ich weiß nicht, wie meine Entscheidung aussehen würde. So wie in der Geschichte, oder so wie bei einem Freund, der sich so fest ans Leben geklammert hat und bis zum Schluss Zukunftspläne hatte. Dabei ging es ihm sehr schlecht und die Notärzte gaben sich die Klinke in die Hand. Ich weiß es einfach nicht.
Liebe Gudrun, ohne eigene praktische Erfahrung dürfte es schwer sein, zu sagen, wie man sich entscheiden würde. Das ist vermutlich erst möglich, wenn man tatsächlich einmal an diesem Punkt war. Und weißt Du was? Das ist auch früh genug! Ich wünsche Dir, dass Du niemals an den Punkt kommst!
Wenn ich es mir irgendwann aussuchen darf (ich habe keine Angst vor dem Tod, nur vor dem [schmerzvollen] Sterben):
Dann, wenn ich sage «Es ist genug.» Schmerzfrei. Ohne künstliche Lebensverlängerung.
Und hoffentlich: Zufrieden.
Nachdenklich grüßt Der Emil
Lieber Emil, das sehe ich genauso. Noch war ich nie tot, insofern kann ich den Tod nicht fürchten. Ich weiß nicht, wie das sein wird. Fürchten tue ich höchstens die letzten Schritte bis dahin. Und auch ich hoffe, dass ich mich dann nicht quälen muss.
Mich nimmt diese Geschichte im Moment extrem mit, denn ich ahne…
Tut mir leid, aber ich kann hier jetzt dazu nichts schreiben, doch du sollst wissen, dass ich gedanklich eben sehr nah bei dir bin.
Liebe Mandy, diese Geschichte ist fiktiv. Aber die Gedanken sind real. Du weißt ja, dass ich bereits zweimal mit dem Thema selbst konfrontiert war. Letztes Mal wäre ich, wenn ich weitere 90 Minuten gewartet hätte, laut Auskunft der Intensiv-Ärzte auch eingeliefert worden. Allerdings nicht mehr auf die Intensivstation, sondern direkt in die Pathologie. Anderthalb Stunden ist eine verflucht knappe Zeitspanne! Ich glaube, wenn man so nahe dran war, macht man sich spätestens Gedanken darüber, was wäre wenn.
Dasgeht mir ziemlich unter die Haut. Ich weiß nicht, wie ich entscheiden würde, zwischen Lebenswillen und Lebensaufgabe ist so eine riesige Grauzone mit einem großen schwarzen Loch.
Ich glaube, je nachdem, wie schlimm es ist, wird der Wunsch zum Abschied so übermächtig, dass man in allem Frieden gehen kann, sofern man gelassen wird.
Eine traurige und zum Nachdenken anregende Geschichte.Ich kann aus Erfahrung sagen, wir hängen mehr am Leben als wir ahnen. Der Lebenswille läßt uns vieles ertragen. Eins weiß ich nur gewiß, naht mein Ende, werde ich qualmen, dass jeder Schornstein neidisch wird. :-)
Ich wünsche dir einen besinnlkichen 1. Adventabend
Liebe Babbel, als ich vor ein paar Jahren den autoimmun verursachten Bauchspeicheldrüsen-Crash hatte, waren das Schmerzen, mit denen ich nicht dauerhaft hätte leben wollen/können. Zum Glück konnten mir diverse Ärzte auf der Intensivstation diese Schmerzen nach ein paar Tagen nehmen. Aber glaube mir: „Ein paar Tage“ können verflucht lang sein. Letztendlich kommt es vermutlich immer auf den Einzelnen an und darauf, wie viel er zu ertragen in der Lage ist.
Es gibt Augenblicke, die macht man nur mit sich selbst und einer höheren Macht aus. Augenblicke, in denen man so weit entfernt ist, von Alltäglichkeiten. Dann zählt nur noch das Jetzt. Und meist geht man den Weg alleine. Alleine, und vielleicht mit der Untestützung der höheren Macht ;o)
Genau das, und diese Augenblicke sind so höchstpersönlich, dass es niemandem zusteht, es vermeintlich „besser“ zu wissen. Das sieht der Gesetzgeber dieses Landes jedoch mitunter anders.
Klar ist das ein schwieriges Thema und sicher nicht in ein paar Kommentaren zu klären. Dennoch wünsche ich mir manchmal etwas mehr Akzeptanz der Menschenwürde. So, wie sie jeder für sich empfindet, nicht pauschal per Gesetz definiert.