… und doch so präsent:
Nachdem mein Großvater väterlicherseits Anfang der 70er Jahre für immer eingeschlafen war, fuhr ich jedes Wochenende zu meiner Großmutter, damit sie nicht so alleine ist. Ich war gerade mal ein Teenager und hatte die Todesnachricht auf ziemlich robuste Weise erhalten: Eines Abends waren meine Eltern unterwegs, als das Telefon klingelte. Ich nahm den Hörer ab und hörte meine Großmutter sagen „Opa ist tot“. Das war’s. Von der Beerdigung und dem ganzen Drumherum bekam ich nichts weiter mit. Irgendwie ist dieser Abschied ziemlich spurlos an mir vorbei gegangen. So zumindest empfinde ich es heute. Vielleicht war das so eine Art Grundstein, den Tod als selbstverständlichen Bestandteil des Lebens anzuerkennen. Wer weiß.
Nachdem einige Zeit ins Land gezogen war, sah mich meine Großmutter eines Tages ganz ruhig an und sagte, für mich völlig unvermittelt, „Wenn ich irgendwann mal sterbe will ich, dass „Träumerei“ von Robert Schumann auf meiner Beerdigung gespielt wird. Innerlich fiel ich irgendwie zusammen. Tot? Meine Oma? Hm. Das war so weit weg. Lange Zeit dachte ich auch nicht mehr an diese Bemerkung. Allerdings vergaß ich nie, dass sie dieses Lied gespielt haben wollte, wenn es irgendwann soweit war. „Irgendwann“ dauerte noch ein viertel Jahrhundert. Dann war es tatsächlich passiert. Die Umstände und Folgen ihres Todes waren teilweise etwas merkwürdig, was mich sehr beschäftigte. Und mein Paps, der üblicherweise so wirkt, als wenn ihm nichts etwas anhaben könnte, ließ mich eine sehr nachdenkliche und mitunter verletzbare Seite erkennen.
Auch in diesem Fall ging vieles der „Vorbereitungen“ für den endgültigen Abschied an mir vorbei. Ich tue mich sehr schwer mit diesen irdischen Ritualen. Für mich selbst will ich gar kein Grab oder großes TamTam haben, wenn ich einmal gehe. Wer mich bis dahin nicht sowieso in sich trägt, braucht sich auch nicht auf einer dafür inszenierten Veranstaltung mit großen Reden die Augen aus dem Kopf zu heulen. Auch habe ich persönlich keinerlei Bedarf daran, dass er/sie sich anschließend vor einen Stein stellt oder stellen muss. Von der Pflege und den laufenden Kosten einmal ganz abgesehen. Die Zeit und das Geld kann man lebendiger investieren. Mir wäre es am liebsten, wenn ich verbrannt und meine Asche aus einem Flugzeug gestreut würde.
Das ist jedoch eine Entscheidung, die ich für mich getroffen habe. Selbstverständlich respektiere ich es, wenn jemand für sich eine völlig andere Vorgehensweise wählt. Und ich würde ihr, soweit es in meinen Möglichkeiten steht, grundsätzlich folgen. Auch musste ich mich einmal zu recht belehren lassen, dass mein Leben zwar mir gehört, die Trauer über mein Ableben aber den Hinterbliebenen. Und wie sie dann verfahren läge nicht mehr in meinem Bestimmungs-Spielraum. Insofern sage ich mittlerweile auch: Wenn beispielsweise meine Eltern ein Grab von mir brauchen und dafür Sorge tragen möchten, könnte ich damit „leben“. Und das ist keinesfalls makaber gemeint.
Allerdings lege ich großen Wert darauf, dass es meinetwegen keine Trauer-Feier gibt. Ein Gedenken; eine Art Zusammenkunft derer, denen ich wichtig war … ja, das gern. Aber sie sollen nicht trauern. Dafür haben wir viel zu viel miteinander gelacht. Dafür gab es viel zu viele schöne Erlebnisse, die uns für immer verbinden. Dafür war ich meist einfach viel zu frech. Sie sollen lachen und sich freuen, dass wir viel Zeit miteinander verbringen durften. Der Titel, den ich dann gespielt wissen will, ist „Somewhere“ aus der Westside Story, gesungen von Barbra Streisand. „Irgendwie, irgendwann, irgendwo werden wir uns wiedersehen“. An Letzteres glaube ich ja sowieso ganz fest. Und anschließend bitte Party; sonst werde ich echt sauer! ;o)
Was die Beerdigung meiner Großmutter betraf, verlief sie in einem ganz klassischen Rahmen. Bevor wir zum Friedhof gingen, saßen wir noch zusammen und auf einmal durchfuhr es mich wie ein Blitz! Ich hatte vergessen, mich darum zu kümmern, dass „Träumerei“ von Schumann gespielt wird. Kennst Du dieses Gefühl, wenn Du vor Schreck plötzlich glaubst, Tausend Nadeln bohren sich in Deine Gesichtshaut? Mir wurde richtig schlecht. Ich wusste nicht, ob ich die Einzige war, der gegenüber sie diesen Wunsch geäußert hatte. Vorsichtig fragte ich also, welche Titel wohl während der Zeremonie gespielt würden. Meine Eltern sagten, dass außer dem „Ave Maria“ kein Titel abgesprochen war. In dem Moment fing ich fast an zu heulen und hatte ein unglaublich schlechtes Gewissen.
Wir gingen gemeinsam zum Friedhof und ich betete innerlich, dass es mir gelingen würde, den Pfarrer vor Beginn zu sprechen, um ihm die Bitte vorzutragen, die mir meine Großmutter extra aufgetragen hatte. Natürlich ergab sich diese Möglichkeit nicht. So saßen wir schweigend in der ersten Reihe und mein Magen zog sich immer mehr zusammen. Wie konnte ich das nur vergessen. Eine Bitte und ich versage auf ganzer Linie. Die Feierlichkeit begann und Reden wurden gehalten. Das „Ave Maria“ wurde gespielt und weitere Worte über meine Großmutter und an die um sie Trauernden folgten. Gegen Ende der Zeremonie wurde nur noch ein weiterer Titel gespielt. Ein Titel, der mich endgültig fest daran glauben lässt, dass es irgendeine höhere Macht gibt, die Dinge lenkt, zu denen wir selbst – aus welchen Gründen auch immer – nicht fähig sind:
Danke!
P.S. Robert Schumann wäre heute 200 Jahre alt geworden.
Liebe Skriptum, danke dass Du Deine Erinnerungen hier mit uns teilst. Ich hab mir noch gar keine Gedanken darüber gemacht, was mit mir geschehen soll, wenn ich mal gehe… Ich erinnere mich, dass ich bei der Beerdigung meiner Oma -für mich als 15jährige- den Fehler gemacht habe, sie mir noch einmal anzuschauen im Sarg, das war schrecklich, so unbeweglich und diese gelbe Hautfarbe, das hat mich lange verfolgt und das würde ich nie wieder tun.
Dieses Klavierstück hab ich auch mal auf dem Klavier gelernt, eines von denen, die ich immer wieder gern gespielt habe, dass es dann doch noch auf der Zeremonie gespielt wurde, ist wirklich wunder-schön…
Liebe Grüsse Andrea
Liebe Andrea, als die ersten Töne zu hören waren, bin ich fast umgefallen vor Erleichterung. Das kannst Du mir glauben!
Nachdem 2005 meine Tante verstorben war, wollte meine Mum ihre Schwester noch einmal sehen. Ich hatte etwas Bammel davor aber natürlich begleitete ich meine Mum. Als wir meine Tante dann sahen war das ein unglaublich friedlicher Moment. Fast schien es, als wenn sie gleich die Augen öffnen und uns zuzwinkern würde.
Meine Kusine war in dem Moment, als meine Tante starb, bei ihr. Sie hatte sich auf ihren Wunsch neben sie ins Bett gelegt und sie in den Arm genommen. Dann schlief sie ganz friedlich ein. Der Verlust ihrer Mutter war zwar schlimm, dennoch sagte sie, dass das eines der schönsten Erlebnisse ihres ganzen Lebens war.
Wunderbar, dass du an Robert Schumann erinnerst. Ich wohne in der Nähe von Zwickau, der Geburtsstadt. Wir zelebrieren zur Zeit die Schumann-Festwoche mit hochkarätigen Künstlern, vor ein paar Tagen hatte seine Oper „Genoveva“ Premiere. Mein Papa war Dozent an der hiesigen Pädagogischen Hochschule, ich bin mit ihm „unterwegs“ zu den Konzerten.
Für Interessierte:
http://www.schumannzwickau.de/
Im Schumann-Haus gibt es über 4000 Originalhandschriften von ihm und seiner Frau Clara Wieck. Und auch sonst ist unsere Gegend (Vogtland/Erzgebirge) ein beschauliches Ausflugsziel.
Lieben Gruß … Eva
Das Erzgebirge ist in der Tat wunderschön, liebe Eva! Und Schumann gehört auch für mich zu den Größten. Seine Musik ist wunderbar und nicht nur laut Titel zum Träumen.
der tod ist das einzige was uns die wahrheit als ganzes offebart. wenn du ersteinmal tod bist, wirst du wissen wie es um „dich steht“.
blöd iss nur, man bekommt es nicht mehr mit.
der tod ist das einzige was uns die wahrheit als ganzes offebart. schaust du ihm in die augen, wird dir alles bewusst.
( gez.: ein krieger )
Ich glaube ja, dass wir uns hier alle nur in so einer Art „Vorrunde“ befinden und das richtig Große erst „hinterher“ kommt.
Wenn es nicht stimmt: Verklag mich, sobald Du es weißt! ;)
Es ist aber auch nicht wichtig, ob das stimmt oder nicht. Dieser Gedanke war mir schon oft genug Trost, wenn ich einen geliebten Menschen gehen lassen musste.
[…] lebensspektrum preisgegeben hätte. auch wenn es worte oder gar ganze handlungen waren die schon lange vergangen sind. es ist schon verrückt. hin und wieder habe ich momente, in denen ich vor mich hinträume und […]
Hallo, liebe Skriptum, du sprichst mir mit allem, was die Zeit nach meinem letzten Atemzug betrifft, vollkommen aus dem Herzen. Nur möchte ich nicht aus einem Flugzeug fliegen, sondern unter einem schönen Baum in einem Wald die Wurzeln nähren.
Einen lieben Gruß von Clara
Die Variante möchte meine Mum auch für sich. In einem Friedwald an einem Baum zum letzten Schlaf.
Auch eine schöne Idee!
Wenn mich dann keiner aus dem Flugzeug schmeißen will (darf), dann würde ich das auch wählen.
Ich hab’s auch net so mit den Begräbnis-Ritualen und dem ganzen Aufwand, der da sehr oft betrieben wird. Ein namenloses Armengrab tut’s auch, ich möchte eingeäschert werden, bitte, und zwei Musikstückerln sollten gespielt werden: „Clair de Lune“ von Claude Debussy – und danach „Highway to Hell“. ;-)
Besonders hörenswert finde ich die „Träumerei“ von Schumann auch von der Pianistin Martha Argerich.
Liebe Grüße!
Highway to Hell? *gg
Liebe Freidenkerin, ich glaube, wenn Clara, Du und ich gleichzeitig gehen würden, gäbe es keine Staatstrauer, sondern eine Staats-Party! ;)
Der Neffe meiner Tante hatte unter dem Verlust wahnsinnig gelitten. Ich glaube er findet bis heute keine Ruhe, weil er keinen bestimmten Ort hat, an den er zum Trauern gehen kann. Sie hat sich anonym auf so einer Urnen-Wiese beerdigen lassen.
Das ist eben der Punkt, wenn es um das Nachher geht: Die Trauer gehört nicht mehr dem Verstorbenen, sondern den Hinterbliebenen. Sie müssen damit fertig werden. Und wenn jemand bestimmen würde, dass er unbedingt ein Grab von mir braucht … Mir kann es letztendlich egal sein. Nur mein ausdrücklicher Wunsch wäre das nicht.